Man hat mich als Ketzer bezeichnet
Domradio vom 22.05.2010 -> Originalartikel: http://www.domradio.de
„Man hat mich als Ketzer bezeichnet“
Ex-Pastor Paul Schulz strebt Revision an
Darf Deutschlands einziger rechtskräftig aus dem evangelischen Pastorenamt verwiesener „Irrlehrer“ zurück auf die Kanzel? Mehr als drei Jahrzehnte nach einem spektakulären Lehrzuchtverfahren will der Hamburger Theologe und ehemalige Hauptkirchen-Pastor Paul Schulz genau das.
Schulz hat einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Verfahrens bei der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (VELKD) gestellt. Damit will er vom Vorwurf der Abkehr vom Bekenntnis freigesprochen werden.
„Man hat mich als Ketzer bezeichnet und rausgeschmissen, totgeschwiegen und diffamiert, als hätte ich etwas Böses getan oder Kinder geschändet“, sagt der heute 72-Jährige. Dabei habe er lediglich „radikal die Gottesfrage gestellt“ und damit eine breite Diskussion angeschoben, die heute nicht mehr geführt werde und tabuisiert sei. Im Laufe der Jahrzehnte sei die Kirche vielleicht „etwas liberaler“ geworden, dafür aber auch indifferenter. „Man redet über alles Mögliche, etwa über ‚Kirche und Fußball‘ – aber nicht über die zentrale Frage, wie Gott zu denken sei“, sagt Schulz.
Bundesweit für Aufsehen gesorgt
In den 1970er Jahren hatte Schulz bundesweit für Aufsehen gesorgt, weil er die Existenz Gottes leugnete. „Ist Gott eine mathematische Formel?“ lautete der Titel seines wohl bekanntesten Buches – und die Zeitungen nannten ihn „Kirchenrebell“ oder „Ketzerpastor“. Die Amtskirche reagierte zunächst langsam, dann aber umso härter: 1976 wurde Schulz beurlaubt, ein Jahr später ein sogenanntes Lehrzuchtverfahren gegen den promovierten Theologen angestrengt. Dieses endete im Februar 1979 mit der Aberkennung seiner Ordinationsrechte. Genau dagegen hat Paul Schulz nun Einspruch erhoben und Revision beantragt.
Anfang 2010 habe er aus den Medien von dem niederländischen Pastor Klaas Hendrikse erfahren, so Schulz. Dieser predige, dass es keinen Gott gebe – und seine Kirchenleitung dulde dies als möglichen Standpunkt innerhalb einer theologischen Debatte. „Das war der Anlass für mich, in Revision zu gehen“, sagt Schulz. Denn diese Haltung der Protestantischen Kirche der Niederlande müsse seiner Ansicht nach auch die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands umstimmen.
„Es kann doch nicht sein, dass ein Entfernungsunterschied von rund 300 Kilometern ausschlaggebend dafür sein kann, was Wahrheit ist“, argumentiert Schulz. Ihm gehe es nicht um finanzielle Entschädigung oder beamtenrechtliche Fragen, sondern „allein um die theologische Reputation“. Außerdem fordert er die VELKD auf, ihm für eine begrenzte Zeit einen „konkreten theologischen Wirkungsfreiraum“ zur Verfügung zu stellen.
„Für eine Wiederaufnahme gibt es bislang kein Verfahren“
Ob und wie das Verfahren tatsächlich noch einmal aufgerollt wird, lässt sich derzeit nicht absehen: „Für eine Wiederaufnahme gibt es bislang kein festgeschriebenes Verfahren“, sagt VELKD-Justiziar Christian Frehrking. „Wir haben Schulz deshalb zunächst den Eingang des Antrags bestätigt, und den Vorgang dann an das Spruchkollegium in Lehrbeanstandungsfragen der VELKD weitergeleitet“, erläutert der Oberkirchenrat.
Über die nächsten Schritte müsse nun der Vorsitzende des Kollegiums, der ehemalige Schleswiger Bischof Hans Christian Knuth, entscheiden. Er selbst gehe jedoch davon aus, dass sich neben dem Spruchkollegium auch der Bischofsrat mit dem Fall beschäftigen wird.
Anders als die katholische Kirche habe die VELKD keine Glaubenskongregation. „Bei uns entscheidet die Gesamtkirche“, so Frehrking. Er persönlich könne aus juristischer Sicht allerdings keinen zwingenden Wiederaufnahmegrund erkennen: „Dass es andere Theologen gibt, die ebenfalls abseits des Bekenntnisses predigen, heißt ja nicht, dass die damalige Entscheidung gegen Schulz falsch war.“ Vielmehr zeige es, dass heutige Glaubensaussagen – wie etwa die der umstrittenen Theologen Gerd Lüdemann oder Klaus-Peter Jörns – nicht mit letzter Konsequenz überprüft worden seien.
Paul Schulz wird auf seine mögliche Rehabilitierung und den damit erhofften „theologischen Wirkungsfreiraum“ wohl noch eine Weile warten müssen. „Allein die Suche nach einem formalen Umgang mit dem Antrag dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen“, prognostiziert Justiziar Frehrking. „Schließlich wollen wir uns ja nicht dem Vorwurf der Willkürlichkeit aussetzen.“
(Klaus Merhof / epd)